Illustration einer weißen Flasche Testosteron-Gel mit blau-grünem Logo und dem Wort "Testo" darauf / / Illustration: Fiona Tretau
Ich bin seit fast zehn Jahren in gynäkologischer Behandlung. Zu Beginn erfolgten die Untersuchungen in unregelmäßigen Abständen, mittlerweile habe ich eine Gynäkologin gefunden, bei der für mich alles passt. Auf der Suche nach ihr habe ich verstanden: Das (medizinische) System, in dem wir uns bewegen, ist auf Cisgeschlechtlichkeit und Heteronormativität ausgerichtet, weswegen mir oft meine Erfahrungen abgesprochen wurden und ich in Schubladen gesteckt wurde, in die ich eigentlich nicht passte. Wie so viele andere trans*, nicht-binäre und queere Menschen stand ich mit meinen medizinischen Fragen und Beschwerden häufig allein da. Rückblickend zeigt mein Weg aber auch, wie gut eine gynäkologische Behandlung sein kann, wenn die Identität, der individuelle Körper und das eigene Wissen über beides in die Behandlung einbezogen werden – wenn also ich als Patient im Fokus stehe und nicht die Vorstellung der behandelnden Person davon, wie ich sein sollte.
Die Pille – zwischen binärer Geschlechtskonstruktion und heteronormativer Beziehungsphantasie
Meinen ersten Termin bei einer Gynäkologin hatte ich im Alter von vierzehn Jahren. Obwohl zwischen mir und meiner*m damaligen Sexualpartner*in keine Möglichkeit einer Schwangerschaft bestand – und ich die Gynäkologin darüber auch informierte – wollte sie mich von der Einnahme der Pille überzeugen. Grund dafür waren ein paar wenige dunkle Haare, die mir auf dem Hals wuchsen. Zuvor hatte ich mich für diese Haare nie geschämt. Erst in diesem Moment wurde mir bewusst, dass sie vielleicht nicht richtig sein könnten. Das Rezept für die Pille nahm ich zwar mit, aber ich nahm sie nicht ein.
Mit ungefähr fünfzehn Jahren war ich erneut in der gynäkologischen Praxis. Diesmal fragte ich explizit nach der Pille. Der Grund: Ich würde bald auf Klassenfahrt fahren und vermutlich ausgerechnet dann meine Menstruation bekommen – in diesen Zeiträumen hatte ich immer so extreme Schmerzen, dass ich oft gar nicht aus dem Bett aufstehen konnte. Mein Plan war also, nur für einen Monat die Pille einzunehmen, um das umgehen zu können. Die Gynäkologin glaubte mir nicht und vermutete, dass ich die Pille in Wahrheit zur Schwangerschaftsverhütung nutzen wolle. Das stimmte nicht. Auch zu diesem Zeitpunkt bestand zwischen mir und meiner*m damaligen Sexualpartner*in keine Möglichkeit einer Schwangerschaft. Die Pille bekam ich letztendlich verschrieben, mein Ziel hatte ich also erreicht. Über Alternativen wurde ich nicht aufgeklärt. Die Risiken der Pille bekam ich nie zu hören. Auch der Auslöser für die extremen Beschwerden während meiner Menstruation wurden von der Ärztin nicht geklärt oder überhaupt weiter thematisiert. Auch über mögliche Ursachen für meinen vermehrten Haarwuchs, etwa einen erhöhten Testosteronspiegel oder PCOS, wurde ich nie aufgeklärt. Die Ursachen wurden nie nachgeprüft, sondern sollten nur „therapiert“ werden, um mich in eine Norm zu drücken.
Mit achtzehn Jahren ging ich erneut zu einer Gynäkologin in der Gemeinschaftspraxis, da ich jetzt die Pille regelmäßig einnehmen wollte. Wenn ich ganz ehrlich bin, war der Grund so etwas wie: Ich wollte mich erwachsen fühlen und erwachsene Menschen machen das halt. Das halte ich für eine problematische Einstellung, die ganz tief in den Erfahrungen meiner Jugend verankert ist, und die ich mittlerweile neu lernen konnte. Damals habe ich die Pille für einige Monate eingenommen, bei der Ärztin gab ich als Begründung an, dass mich der vermehrte Haarwuchs an meinem Körper stören würde. Mir wurde die Pille also nur verschrieben, um diesen Haarwuchs zu vermeiden, der in den Augen der Gynäkologin nicht so sein sollte – um also meinen Körper einem konstruierten, binären Geschlechterbild anzupassen, mit dem meine Ärztin konform ging.
Während der vorherigen Termine wurde mir unterstellt, in sexuellen Beziehungen zu sein, die sich die Behandlerinnen als cis-heterosexuell vorstellten, und nur aus diesem Grund war mir die Pille bereitwillig bis übergriffig verschrieben worden. Die ehrlichen Berichte und Fragen über meine sexuellen Begegnungen und starken Beschwerden während der Menstruation wurden nie ernstgenommen, dabei ist insbesondere bei diesen Themen eine medizinische Aufklärung und Enttabuisierung im Jugendalter wichtig. In diesem binär und heteronormativ strukturierten System war ich durch meine Erfahrungen mit Gynäkologinnen dazu gezwungen, Strategien zu entwickeln, um meine Selbstbestimmung zurückzuerlangen: ich erzählte das, was die Ärztinnen hören wollten, um ein Medikament verschrieben zu bekommen. Mein Recht auf eine vertrauens- und verantwortungsvolle medizinische Behandlung und Beratung wurde mir dadurch genommen. Über meine Beschwerden und Fragen informierte ich mich schlussendlich selber über empowernde Bildungsangebote im Internet, für die ich bis heute dankbar bin. In dieser Zeit lernte ich vor allem, Ärzt*innen nicht immer von Grund auf zu vertrauen und mich auch selbst zu informieren.
Achtung, Grenzübertritt! Testosteron und der Austritt aus der cis-geschlechtlichen Norm
Mein nächster Besuch bei einer Gynäkologin in einer neuen Praxis war dann anders. Hier ging es darum, eine Untersuchung durchführen zu lassen, um festzustellen, ob ich problemlos ein Testosteronpräparat einnehmen konnte – ich war zu dem Zeitpunkt zwanzig und wollte mit meinem medizinischen Transitionsprozess beginnen. Diese Gynäkologin meinte es nett, allerdings wurden mir übergriffige Fragen über mein Liebesleben, meine Wohnsituation und meine Vornamens- und Personenstandsänderung gestellt. Ich erinnere mich daran, dass nicht nur die Ärztin mir diese Fragen stellte, sondern auch andere Mitarbeiter*innen der Praxis. Hierfür wurde ich aus dem Wartezimmer gebeten und in einen separaten Raum geführt, in dem ich von den Mitarbeiter*innen befragt wurde. In diese Praxis kehrte ich nicht zurück und mied Gynäkolog*innen erstmal.
Aus dieser Erfahrung habe ich rückblickend gelernt: Die Pille ist ein gesellschaftlich anerkanntes Medikament, das häufig als etwas Gutes, Unbedenkliches und Erwachsenes dargestellt wird, das lieber genommen werden sollte anstatt es nicht zu nehmen – eine Praxis, die oft auf unbewussten Vorstellungen von Binärität und Heterosexualität beruht. Die Erfahrungen in der gynäkologischen Praxis beim Wunsch, ein Testosteronpräparat einzunehmen, machten ganz andere Dynamiken sichtbar: Es wurde nicht einfach nur medizinisch überprüft, ob es Gründe gab, die dagegensprachen. Stattdessen fühlten sich die Ärztin und andere Personen in der Praxis dazu berufen, mit persönlichen bis übergriffigen Fragen zu intervenieren.
In beiden Fällen wirkt es so, als hätte die entsprechende Gynäkologin eine eigene Agenda und nicht bloß ein Interesse daran, mir als Patient eine möglichst allumfassende medizinische Beratung und Untersuchung zu garantieren. Bezüglich meines eigenen Patienten-Wissens gab es Misstrauen, ich wurde als Person immer wieder in Frage gestellt. Gleichzeitig wurde mir nie das nötige medizinische Wissen transparent dargelegt, um selbstbestimmt agieren zu können und beispielsweise meinen Beschwerden entgegenzuwirken.
Hoffnungsschimmer? Wie eine vertrauensvolle und professionelle Behandlung zu Empowerment und Selbstbestimmung für trans* und nicht-binäre Personen beitragen kann
Irgendwann musste ich dann wieder zu einer Untersuchung, nämlich nach meiner Hysterektomie. Ich weiß, dass manche trans* und nicht-binären Personen, die eine Hysterektomie oder eine andere Operation dieser Kategorie haben, keinen Nachkontrolltermin wahrnehmen. Ich weiß auch, dass trans* und nicht-binäre Menschen generell häufig den jährlichen Kontrolltermin bei Gynäkolog*innen meiden, der nach meiner Einschätzung rein aus gesundheitlicher Sicht aber nach Möglichkeit wahrgenommen werden sollte. Ich habe diese Kontrolltermine auch lange gemieden, wie an den unregelmäßigen Abständen zwischen meinen vorigen Terminen deutlich wird – ich verstehe also auch, wenn es nicht möglich ist, das zu tun.
Ich entschied mich für einen Schuss ins Blaue und ging für die Nachkontrolle zu einer Gynäkologin, die ich nicht kannte, und über die ich nichts wusste, in der Hoffnung, dass sie einfach nur schnell die Untersuchung durchführen und mich dann wieder gehen lassen würde. Tatsächlich wurde ich aber total überrascht, denn die Ärztin hatte schon zuvor an einer Uniklinik gearbeitet und dort besonders trans* Personen betreut. Sie war aufgeschlossen gegenüber verschiedenen Beziehungsformen und Lebensentwürfen, nahm sich Zeit für mich und besprach meine Probleme mit mir, auch bezüglich meiner Mastektomie. Währenddessen stellte sie mir keine unangebrachten Fragen. Zum ersten Mal fühlte ich mich während einer gynäkologischen Behandlung wie ein Mensch, ich fühlte mich akzeptiert und ernstgenommen. Immer wieder beeindruckt meine Gynäkologin mich während Terminen mit der Frage, ob es für mich überhaupt in Ordnung ist, wenn sie bestimmte Untersuchungen durchführt oder ob ich das lieber vertagen möchte – die Frage nach Konsens sollte in allen medizinischen Kontexten normalisiert werden.
Mittlerweile gehe ich wirklich gerne regelmäßig zu meiner Gynäkologin und bin traurig darüber, dass viele meiner Freund*innen, die auch zu Gynäkolog*innen gehen, nicht nachvollziehen können, mit welcher Begeisterung ich diesen Terminen, Gesprächen und Austauschen entgegenblicke, weil sie mit ihren Gynäkolog*innen häufig immer noch schlimme Erfahrungen machen müssen.
Casjen Griesel (er/ihm) ist queer, trans* und nicht-binär. Er ist Lektor, Autor und Mitherausgeber des online Magazins t*Point, das gender non-konformen Perspektiven eine Plattform bietet. Auf seinem Instagram-Account spricht er über trans* und nicht-binäre Themen.
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