21. Februar 2021

Schlecht erzogen – Wieso wissen wir eigentlich so unglaublich wenig über die Menstruation?

Anne Mayer schreibt für Gynformation eine Miniserie über Menstruation. Der erste Beitrag fragt danach, warum es uns eigentlich so schwer fällt über Menstruation zu sprechen. Wie prägen die Werbung und der Biounterricht unsere Vorstellung und wie können andere Bilder sie auch verändern?

Von Anne Mayer

Illustration: Fiona Tretau

Es könnte so einfach sein. Fakt ist, ungefähr die halbe Weltbevölkerung blutet für durchschnittlich 37 Jahre ihres Lebens so mehr oder weniger einmal im Monat ca. 50-80 ml aus ihrer Vagina. Ohne Menstruationszyklus keine Fortpflanzung. So weit so gut, weiß man ja, könnte man(n) ja in die Organisation einer Gesellschaft und Planung ihrer (Infra-) Strukturen mit einbeziehen. Dieses Phänomen bräuchte weiter keine tiefgreifenden Folgen oder auch nur Zuschreibungen mit sich zu bringen.
 
Aber: Weltreligionen, Patriarchen und Monarchen haben sich nun mal in den Kopf gesetzt, dass eine binär ausgerichtete Gesellschaft mehr Macht für die einen bei weniger Auseinandersetzung mit den anderen bedeutet. Und da dieses Konzept hervorragend zum Kapitalismus passt, stecken wir noch immer in dieser profitablen Gleichung.
 
Doch von der jahrhundertealten Tradition mal abgesehen: Warum ist unser Blick auf und der Umgang mit den Körpern der Menstruierenden, mit ihrer Sexualität, und damit auch der Menstruation, eigentlich noch immer so verklemmt? Wieso ist es überhaupt so schwierig über die Menstruation zu sprechen ohne gleich in binären Stereotypen zu denken; wieso ist das Thema so hochkompliziert aufgeladen, dass wir es scheinbar immer nur in Kategorien greifen können? Sollten menstruierende Menschen nicht einfach in Ruhe Menschen mit einer Periode sein können, so wie brillentragende Menschen einfach Menschen mit Brille sind – ohne dass gleich ihre menschliche und Gender-Identität darüber verhandelt werden muss?
 
Woher kommt die ganze Verkrampftheit um das Thema Menstruation? Sexuelle Aufklärung an sich ist leider nun mal nach wie vor ein ziemlich schambehaftetes Thema. Auf eine sex-positive Erziehung im Sinne einer Wertschätzung des eigenen Körpers  können sich die meisten von uns wohl eher nicht verlassen (wobei wir es der jeweiligen Eltern-Generation wahrscheinlich auch nicht wirklich verdenken können, diesbezüglich erstmal die Traumata ihrer eigenen Erziehung verarbeiten zu müssen.)
 
Aber Erziehungsberechtigte sind schließlich nicht alleine für all das zuständig, was uns so mit auf den Weg gegeben wird. Nächstes beliebtes Thema: Aufklärungsunterricht. Let’s take a look into our biology school books und schauen wir uns an, was da so alles an Halbwissen verzapft wird.

Meistens sehen wir in unseren Biobüchern sowas: Zur „Aufklärung“ werden die Reproduktivorgane dargestellt, darunter, na wenn es denn sein muss, die Vagina – aber von der Klitoris keine Spur. Wenn sie mal auftaucht, dann als mehr oder weniger winziger Wurm irgendwo im vorderen Bereich der Vulva… Illustration: Jakob Michal



…statt in ihrer vollen Größe als Schwellkörper, dessen unter den Vulvalippen liegende Flügel die Vaginalöffnung umschließen. lllustration: Jakob Michal


Geschweige denn, dass mal wer female pleasure erwähnt – und von Queerness brauchen wir erst gar nicht anzufangen. Aber das ist wohl nochmal ein anderes Kapitel. Von Löchern und Penetration hören wir, von Befruchtung und Empfängnis. Yippieh. Das ist nun mal alles, was diejenigen wissen mussten, die in den letzten Jahrhunderten den allergrößten Teil medizinisch-biologischer Forschung und Wissenschaft durchführten – cis-Männer eben.
 
Dass die Geburt irgendwie für das Fortbestehen der Menschheit entscheidend ist, war dann doch so eindeutig, dass in diesem Bereich der medizinischen Forschung zumindest die allernotwendigste lebenserhaltende Weiterentwicklung stattgefunden hat.  Dass allerdings auch der Menstruationszyklus für die ganze Sache entscheidend ist, wurde dabei etwas außer Acht gelassen – verdrängt, ließe sich fast sagen, oder auch in der Entwicklung der Medizin mutwillig blockiert.

Ist schon praktisch zur Erhaltung eines Systems, das auf der Marginalisierung einer kompletten Gesellschaftshälfte aufbaut, den betreffenden Menschen einmal monatlich klarmachen zu können, dass sie eigentlich krank, auf (Schmerz-)medikation angewiesen und somit praktisch nicht zu Eigenständigkeit fähig sind. Denn wie Expert*innen nachgewiesen haben, müsste der rein biologische Prozess des Abbaus der Gebärmutterschleimhaut nicht automatisch mit Schmerzen verbunden sein (ganz im Gegensatz zu vielen noch immer zu wenig erforschten Erkrankungen der Gebärmutter, wie beispielsweise der chronischen und unglaublich schmerzhaften Endometriose!). Das Auftreten von Regelschmerzen, die bei menstruierenden Menschen in ihrer Heftigkeit sehr unterschiedlich ausfallen, kann in einigen Fällen psychische oder psychosomatische Ursachen haben. Beispielsweise können eine sehr negative oder angstvolle Einstellung eines pubertierenden Mädchens zur Periode oder der hohen Stressfaktor, die Periode monatlich mit unflexiblen Arbeitszeiten und einer hohen Alltagsbelastung in Einklang zu bringen, Ursache sein. Doch auf diesem Feld gibt es bis heute kaum Forschungen und Studien, und so betreiben wir weiter nur Symptom„behandlung“. 

Menstruierende werden tagein, tagaus mit paradoxen Stigmata konfrontiert: „Du bist doch chronisch krank, quasi kaum eigenständig alltagsfähig“, und im selben Atemzug: „Dir geht’s doch gar nicht wirklich schlecht, du stellst dich nur so an.“ Wieso solltest du auch bezahlten Urlaub kriegen, dafür, dass du schon wieder nicht zur Arbeit kommen kannst? Andere arbeiten ja auch an allen Tagen im Monat. Wieso sollten Ärzt*innen ihre Fachmeinung überdenken, nur weil du angeblich so furchtbar starke Schmerzen und dir auf zahlreichen Websites und von mehreren Freund*innen Wissen über Endometriose angeeignet hast? 
Jedes „Dann verschreibe ich Ihnen jetzt mal stärkere Schmerztabletten“, jeder zynische Kommentar über ihre vermeintliche soziale Inkompatibilität manifestiert die Unmündigkeit der Menstruierenden. Und andererseits werden ihnen ihre Schmerzen nicht abgenommen, ihre Gefühle nicht zugestanden, es wird ihnen keinerlei Pause erlaubt vom zermürbenden Spießrutenlauf durch eine patriarchal genormte Gesellschaft.         
 
Soviel also zum Status Quo und dem dringenden Bedarf an Veränderung. Nur wo fangen wir an? Bei der Erziehung – den Fehlinformationen in der Schule, dem Schweigen zuhause? Aber sonst brauchen wir doch auch nicht unbedingt unsere Eltern oder Lehrer*innen, um die wirklich interessanten Dinge zu lernen. Spätestens seit der Pubertät beantwortet Google unsere peinlichsten Fragen: Wie kann ich cool sein? Wie zur Hölle funktioniert Sex? Welche Größe welches Körperteils ist „normal“? – und so weiter. Leider hat das nicht immer unbedingt positive Konsequenzen für unsere psychische und körperliche Verfassung (für die Pharma- und Modeindustrie dagegen oftmals schon). Das gilt definitiv auch im Fall der Menstruation. Wir leben in einer extrem visuell und durch Werbung geprägten Welt – aber welche Bilder von der Menstruation sehen wir überhaupt?

Grundsätzlich: viel zu wenige, dafür dass – es kann nicht oft genug gesagt werden – ca. 50% aller Menschen in grob monatlichem Rhythmus durchschnittlich 6 Tage lang bluten. Und wehe, die Periode kommt doch irgendwo vor. Obwohl in jedem Actionfilm unkommentiert sicher die hundertfache Menge an Blut fließt, ist Menstruationsblut bis heute stets der Date-Crasher, der schlimmste Alptraum im Klassenzimmer, der Peinlichkeits- und Ekelfaktor, immer einen Lacher wert, ob es um die „Panne“ selbst oder die Unberechenbarkeit der Hormongesteuerten geht.
 
Und wo uns als menstruierenden Zuschauer*innen zumindest blütenzart angedeutet wird, dass es hier um „die Tage” geht, etwa in der Werbung für sogenannte „Damenhygieneprodukte“? Da ist dann die Testflüssigkeit blau. Etwas anderes wird offensichtlich nicht als zumutbar angesehen. Das Blut der Held*innen hat etwas ehrenvolles, aber Menstruationsblut ist einfach unrein und ekelhaft –  Bibel, Koran, Thora und Veden lassen grüßen. 
 
In Werbungen sehen wir häufig nur blau statt rot. llustration: Jakob Michal


Aber: es wird besser. Die normative Idealvorstellung der Existenz einer Geschlechter-Binarität ist nicht mehr das, was sie mal war. Einst scheinbar in Stein gemeißelt, weichen wir sie auf, sodass wir endlich auch die Menstruation nicht mehr missbrauchen, um daraus ein biologistisches „Geschlecht“ abzuleiten – und Menschen mit Periode einfach in Ruhe menstruierende Menschen sein können. Immer mehr blutende Menschen können Filme machen und Texte schreiben, in denen die Menstruation endlich alltäglicher Bestandteil unseres Universums ist. Bis der Rest der Menschheit auch eingesehen hat, dass wir diese neuen und positiven Bilder brauchen, müssen wir uns eben selbst eine ausgewogene Erziehung – und vor allem Unterhaltung! – zulegen: Mit gutem Beispiel voran gehen new classics wie Liv Strömqvist mit „Der Ursprung der Welt“, Luisa Stömer und Eva Wünsch mit „Ebbe und Blut“ und Rayka Zehtabchi mit ihrem Kurzdokumentations-Oscar-winning „Period. End of sentence.“ 

------------
Anne Mayer pendelt zwischen Schreiben, Filmen, Performance und soziopolitischer Theorie, um aus verschiedenen Richtungen einen queerfeministischen Blick auf die Welt zu finden. Hauptberuflich hinterfragt sie am liebsten aus intersektionaler Perspektive bestehende Macht- und Sozialstrukturen, daneben widmet sie ihre Zeit mit Vorliebe ihren Freund*innenschaften, Grünpflanzen und Berliner Lieblingskinos.